Der braune Fleck von Schweinfurt

Das Willy-Sachs-Stadion in Schweinfurt
(Foto: Tom Kleine)

  

„Wir arbeiten Fußball.“ So lautet der Slogan des Fußball-Regionalligisten 1. FC Schweinfurt 05. Dies gilt jedoch in erster Linie für die Arbeit auf dem Platz und weniger für die Vergangenheitsbewältigung von Club und Stadt. Denn gespielt wird nach wie vor im „Willy-Sachs-Stadion“, obwohl der Namensgeber einer der bekanntesten Nationalsozialisten Frankens war.

Auf meinem Rückweg vom Basketball-Euroleague-Spiel zwischen den Brose Baskets Bamberg und Maccabi Tel Aviv legte ich Anfang Februar 2017 einen Zwischenstopp in Schweinfurt ein. Mit eigenen Augen wollte ich sehen, was nicht nur mir seit Jahren undenkbar scheint. Und doch ist es noch immer wahr. Auch 81 Jahre nach seiner Eröffnung im Jahr 1936 trägt das Stadion des fränkischen Traditionsvereins den Namen „Willy-Sachs-Stadion“.

Heimstätte der „Schnüdel“

Das Willy-Sachs-Stadion in Schweinfurt.
(Foto: Tom Kleine)

Die Heimspielstätte des 1.FCS 05 und die angrenzenden Nebenplätze lagen im Nebel, als ich diesen Ort erreichte. Vier Platzwarte präparierten mit Laubbläsern den ordentlich wirkenden Rasen für das am nächsten Tag anstehende Freundschaftsspiel gegen die Zweite Mannschaft des 1. FC Nürnberg. Die vier Flutlichtmasten und die Tribüne mit ihren Wellenbrechern ließen mein Groundhopper-Herz direkt höherschlagen. 860 Sitzplätze auf der Tribüne machen einen kleinen Teil des Gesamtfassungsvermögens von 16.500 aus.

 

Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war das Willy-Sachs-Stadion das Trainingsgelände der tunesischen Fußballnationalmannschaft. In der aktuellen Saison 2016/17 trifft der 1.FCS 05 in der Regionalliga Bayern auf Unterhaching, Burghausen, Bayreuth oder Bayern Hof.

 

Vier Platzwarte mit Laubbläsern im Stadion.
(Foto: Tom Kleine)

In diesem Ground spielten die „Schnüdel“, wie die Kicker der Unterfranken im Volksmund genannt werden, in der in der Saison 2001/02 sogar um Zweitligapunkte. Damals wie heute in einem Stadion, dessen Namensgeber ein überzeugter Nazi war. Und noch immer wirken der Schriftzug „Willy-Sachs-Stadion“ und der monumentale Adler mit der Weltkugel unter den Krallen auf dem meterhohen Sockel vor den Eingangstoren der Schweinfurter Sportstätte beklemmend auf den Besucher.

 

Maccabi in Schweinfurt

Das Cover des Buches Davidstern und Lederball.

Geweckt wurde mein Interesse an dieser Geschichte bereits vor einigen Jahren durch die Anfang der 2000er-Jahre veröffentlichten Beiträge des Journalisten Werner Skrentny in den Büchern „Das große Buch der deutschen Fußballstadien“ sowie „Davidstern und Lederball - Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball“, in denen er die „Gegenwart des Verdrängten“ beschreibt.

 

Diese „Gegenwart des Verdrängten“ griff das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 16. Juli 2001 auf. Aufhänger war das Freundschaftsspiel des israelischen Clubs Maccabi Haifa beim damaligen Zweitliga-Aufsteiger 1. FC Schweinfurt 05 am 20. Juli 2001 (3:1 für Haifa). Unter der Überschrift „Nazi als Namensgeber“ berichtete „Der Spiegel“ über den Stadionstifter Willy Sachs und seine Verstrickungen mit der obersten NS-Führung. Ein Spiel in diesem namensbelasteten Stadion war den Gästen aus Israel nicht zuzumuten. Und so fand das Spiel auf einem Nebenplatz statt.

 

Schweinfurt ist Sachs

(Foto: ansichtkarten-center.de)
(Foto: ansichtkarten-center.de)

Der Name Sachs ist untrennbar mit der Industriestadt Schweinfurt verbunden, denn hier hat das weltbekannte Unternehmen ihren Ursprung. Sachs wurde 1895 in Schweinfurt als Hersteller von Kugellager und Fahrradnaben gegründet, als eigenständiges Unternehmen lautete der Firmenname zuletzt Fichtel & Sachs AG. 1997 wurde der Automobilzulieferer von Mannesmann übernommen und in Mannesmann Sachs AG umfirmiert. Ab 2001 gehörte Sachs als ZF Sachs AG zu ZF Friedrichshafen. 2011 wurde ZF Sachs rechtlich mit der ZF Friedrichshafen AG verschmolzen. Der Hauptsitz für Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Produkten der Marke Sachs ist in Schweinfurt.

 

Sachs ist Schweinfurt und Schweinfurt ist Sachs. Das wird einem schon optisch schnell bewusst, wenn man wie ich zum ersten Mal durch diese Stadt mit ihren knapp 52.000 Einwohnern fährt. Noch heute stehen viele Schweinfurter hier in Lohn und Arbeit. Das ist Fakt.

 

Willy Sachs, Unternehmer, „königlich-schwedischer Konsul“ und Lebemann

Willy Sachs
Willy Sachs (Archivfoto: Stadt Schweinfurt/Internet)

Fakt ist aber auch die braune Gesinnung des ehemaligen Firmen-Generaldirektors Willy Sachs. Der im Jahr 1896 in Schweinfurt geborene Willy Sachs war der einzige Sohn des Schweinfurter Industriellen Ernst Sachs, Erfinder des Fahrrad-Freilaufs, der Rücktrittbremse und Mitbegründer des Unternehmens „Fichtel & Sachs“. Nach dem Tod des Vaters wurde Willy Sachs ab 1932 Alleininhaber des Unternehmens und nebenbei Träger des Titels „königlich-schwedischer Konsul“, der auf den Verkauf der Wälzlagerfertigung des Unternehmens an die Svenska Kullagerfabriken (SKF) zurückzuführen war.

 

Willy Sachs stand im Ruf eines Lebemanns und Playboys, der die Jagd liebte und den Frauen und dem Alkohol zusprach. Dieser extrovertierte Lebensstil sollte sich später auf seinen Sohn Gunter Sachs (1932 – 2011) übertragen.

 

SS-Karriere und Freund von Himmler und Göring

Mehrere Personen in SS-Uniform.
Sachs neben Himmler bei der Einweihung des Stadions. (Archivfoto: Stadtarchiv Schweinfurt/Internet)

Schon sehr früh nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Willy Sachs nicht nur NSDAP-Mitglied Nr. 2.547.272, sondern auch Mitglied Nr. 87.064 der SS. Kein Geringerer als SS-Chef und Judenverfolger Heinrich Himmler machte sich für den Eintritt von Willy Sachs in die SS stark. Noch 1933 wurde Sachs zum Untersturmführer, 1934 zum Obersturmführer und 1935 zum Hauptsturmführer ernannt. 1943 wird Sachs SS-Obersturmbannführer beim Stab der Reichsführer.

 

Der Träger von „Totenkopfring“ und „Ehrendegen“ der SS war auch als Reichsjagdrat aktiv. Kein Wunder, denn neben Himmler gehörte auch Hermann Göring zum engeren Freundeskreis von Willy Sachs. Auf zahlreichen gemeinsamen Jagdausflügen wurde die Männerfreundschaft zwischen Sachs und Göring gestärkt. Ab dem Jahr 1941 zierte der Titel „Wehrwirtschaftsführer“ den Kopfbogen des rüstungswichtigen Betriebes von Willy Sachs.

Zwei Männer in SS-Uniform
Konsul Willy Sachs mit General Franz Ritter von Epp bei der Eröffnung des Willy-Sachs-Stadions 1936. (Archivfoto: Stadtarchiv Schweinfurt/Internet)

Fünf Jahre zuvor fand die Einweihung des Stadions, welches überwiegend von Willy Sachs finanziert wurde, statt. Wenige Tage vor Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin wimmelte es am 23. Juli 1936 in Schweinfurt nur so von NS-Prominenz, die von Heinrich Himmler angeführt wurde. Hermann Göring war am Vortag zu Besuch. Und Adolf Hitler schickte ein Glückwunschtelegramm zur Eröffnung. Willy Sachs selbst hielt die Rede zur Einweihung des seinerzeit sehr modernen und großzügigen Stadions in SS-Uniform.

Einstufung als „Mitläufer“

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Willy Sachs festgenommen und später von der Spruchkammer Schweinfurt-Land im Entnazifizierungsverfahren lediglich als Mitläufer eingestuft. Auch als die US-Behörden Widerspruch einlegten, blieb es bei dieser Einstufung.

 

Buchautor Wilfried Rott bezeichnete dieses Verfahren als „Weißwäsche“ und schreibt: „Jüdische Bekannte für sich nachträglich zu instrumentalisieren und die kalte Arisierung des Geschäftspartners Max Goldschmidt einfach zu übergehen, zählt zu den dunkelsten Momenten dieser Entnazifizierung, die sonst so beschönigend und verharmlosend ablief, wie die meisten vergleichbaren Fälle“.

Cover des Buches Sachs Mobilität und Modernisierung.

Die Geschichte des Unternehmens Sachs bis zur Integration in die ZF Friedrichshafen AG im Jahr 2011 war ebenfalls Bestandteil des im Jahr 2011 erschienenen Buches „Sachs - Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte“ von Andreas Dornheim.

 

Basierend auf den recherchierten Fakten des Buches kam auch die Forschungsstelle von ZF zu der Einschätzung, dass Willy Sachs alles andere als ein Mitläufer der Nazis war:

Selbstmord im Jahr 1958

Sachs konnte also wie so viele Nazi-Unternehmer vor und nach ihm eine zweite Karriere in der Bundesrepublik Deutschland starten. Mit dem Zwei-Takt-Motor „Sachs 50“ für Mopeds erreichte er Umsatzrekorde. In Anerkennung seiner sozialen Verantwortung als Unternehmer (u.a. Wiedererrichtung der Ernst-Sachs-Hilfe als betriebliche Altersversorgung) erhielt er 1957 aus den Händen des CSU-Ministerpräsidenten das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Sein Leben endete dramatisch. Am 19. November 1958 erschoss sich der Ehrenbürger von Schweinfurt in seinem Jagdhaus bei Oberaudorf.

Stadionname erlangte zunächst kaum Aufsehen

Michel Friedman. (Foto: welt.de)
Michel Friedman. (Foto: welt.de)

Bis zum Jahrtausendwechsel erlangte das Thema „Stadionname“ in Schweinfurt nur lokale Bekanntheit. Immer wieder (und bis heute) setzten sich einzelne Bürger, die „Initiative gegen das Vergessen“ oder Vertreter des DGB für eine Namensänderung ein. Eine große überregionale Aufmerksamkeit fanden diese Aktionen jedoch nicht. Bis es zu den Buchveröffentlichungen von Werner Skrentny und dem Spiel von Maccabi Haifa in Schweinfurt kam.

 

Den Veröffentlichungen von Skrentny und des Spiegel folgten Beiträge in der Süddeutschen Zeitung, der Berliner Zeitung, der „Welt“ und anderen in- und ausländischen Medien.

 

Michel Friedman, Anfang der 2000er Jahre Vizepräsident des Zentralrats der Juden, äußerte sich seinerzeit: „Ein Deutscher, der den Nationalsozialismus aktiv unterstützt hat, bleibt auch sechzig Jahre danach ein Nazi und ist untragbar als Namensgeber für ein öffentliches Gelände. Einem Verbrecher kann man keine Ehre antun.“

Dieser Aufschrei im deutschen Nachrichtenwald ist nun bereits wieder 16 Jahre her. Vor gut einem Jahr, im Februar 2016, griff das lokale Nachrichtenportal „SW-N.TV Schweinfurter Nachrichten“ unter der Überschrift „Ich schäme mich für Schweinfurt“ dieses heiße Thema noch einmal auf. Doch erneut prallte die Kritik einer Medienredaktion an den Verantwortlichen der Stadt Schweinfurt und des Vereins sowie vor allem an der breiten Mehrheit der Schweinfurter Bevölkerung ab wie am Stein des Denkmals vor dem Stadion. Schlimmer noch: die Redakteure von SW-N.TV sahen sich üblen Reaktionen ausgesetzt wie die „Leserbriefe“ am Ende des Berichtes zeigen:

 

https://www.sw-n-tv.de/2016/02/04/ich-schäme-mich-für-schweinfurt/

 

"Der Verein hat keine Handhabe!"

Das Logo des 1. FC Schweinfurt 05.

Auf eine Anfrage meinerseits stellte sich zumindest ein Angestellter des Vereins meinen Fragen am Telefon. Seine Einschätzung: "Das Stadion hat nie dem Verein gehört, sondern immer der Stadt Schweinfurt. Wir haben da keine Handhabe und können das Stadion somit auch nicht vermarkten oder umbenennen. Das Namensrecht liegt alleine bei der Stadt. Wir als Verein sind dankbar, dass das Stadion da ist."

 

Angesprochen auf die Meinung der Fans ergänzte er noch: "Die Fanszene in Schweinfurt ist gemischt wie anderswo auch. Ich würde unsere Fans eher als liberal einstufen."

 

Auf der Vereinshomepage des 1. FC Schweinfurt 05 heißt es zudem wörtlich:

 

„Das Willy Sachs Stadion in Schweinfurt wurde im Jahre 1936 seiner Bestimmung übergeben. Es dient dem Stifterwillen des Industriellen Willy Sachs, dem damaligen Eigentümer der Fa. Fichtel & Sachs, entsprechend vorrangig dem Verein des 1.FC Schweinfurt 1905, seinem Verein. Das Stadion wurde am 23. Juli 1936 unter großer Beteilgung, nationalsozialistischer Propaganda und der Anwesenheit von exponierten Nationalsozialisten wie Himmler und Göring eingeweiht. Diese große Schenkung von Willy Sachs an die Stadt wurde von den Nazionalsozialisten somit auch zu Propaganda-Zwecken ausgenutzt. Schweinfurt und als Hauptnutzer der FC 05 sind jedoch heute froh, dieses Stadion zu besitzen. Denn die Voraussetzungen für professionellen Fußball sind bestens erfüllt. Keine der Nachbarstädte kann heute ein vergleichbares Stadion aufweisen und ein jeder Trainer ist voll des Lobes für diese Einrichtung.“

 

Natürlich hat mein Gesprächspartner im Kern Recht. Lediglich die Stadt Schweinfurt als Eigentümerin und damit der Schweinfurter Stadtrat könnte über die Änderung des Stadionnamens beschließen. Aber meine persönliche Meinung ist, dass es sich der Verein hier etwas zu einfach macht. Schweinfurt 05 als Hauptnutzer des Stadions und Aushängeschild der Sportstadt Schweinfurt könnte sehr wohl Druck auf Rat und Verwaltung ausüben und auf eine Namensänderung pochen.

 

Gerne hätte ich auch eine Meinung der Stadt Schweinfurt veröffentlicht. Dies wäre im Hinblick auf die zuvor getätigte Aussage des Vereinsvertreters sowie der Tatsache, dass es ja schließlich die Stadt Schweinfurt war, die das Stadiongelände im Jahr 1936 zur Verfügung stellte, obwohl Willy Sachs gemeinhin als der "Stadionvater" gesehen wird, sicher interessant gewesen. Doch leider blieben meine beiden E-Mails an den Bürgerservice und die Pressestelle der Stadt Schweinfurt bis heute unbeantwortet. 

 

Beispiel Würzburg

Dass es anders geht, zeigt allerdings Würzburg. Dort wurde die ehemalige „Carl-Diem-Halle“, benannt nach dem gleichnamigen NS-Sportfunktionär Carl Diem, in „S.Oliver-Arena“ umbenannt. Diems Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus ist wie die von Willy Sachs bis heute umstritten.

 

Sport und Konzerte

Konzert im Willy-Sachs-Stadion.
(Foto: youtube.com)

Genutzt wird das Schweinfurter Stadion heute nicht nur für Sportveranstaltungen. Hier gaben auch schon Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen und die Scorpions Konzerte.

 

„Lasst uns doch einfach alle in Ruhe!“

Die Innenstadt von Schweinfurt
(Foto: Bayerischer Rundfunk)

Bei meinem Besuch in Schweinfurt nutzte ich die Gelegenheiten zu Gesprächen mit Bürgern der Stadt. Ich habe einen Gaststättenbetreiber („Sachs hat das Stadion bezahlt, also darf es auch so heißen.“), einen Kioskbesitzer mit Migrationshintergrund („Ich habe kein Problem mit dem Namen.“) und einen Tankstellen-Kassierer („Da war mal was, aber das interessiert mich nicht. Man sollte endlich einen Schlussstrich ziehen.“) nach ihrer Meinung zum „Willy-Sachs-Stadion“ gefragt. Das Ergebnis ist frustrierend. Keine Spur von Einsicht, kein Gefühl für die Vergangenheit.

 

Etwas brenzlig wurde die Situation, als mich ein Besucher der dem Stadion angrenzenden Restaurants beim Fotografieren des „Denkmals“ beobachtete und mich mit den Worten „Schreiben Sie auch wieder so einen Sch…-Bericht? Lasst uns doch einfach alle in Ruhe.“ bedachte.

 

Die Dame an der Hotel-Rezeption, ich schätze sie auf Mitte 20, brachte die Einstellung der wohl meisten Schweinfurter auf den Punkt: „Unser Stadion heißt so. Und wird auch immer so heißen.“

 

Schade, Schweinfurt.

 

(Tom Kleine)

 

Stadion-Impressionen

Quellen

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